Bagamoyo - leg dein Herz nieder!
Nur 75 Kilometer nördlich von Daressalam, direkt am Indischen Ozean, liegt die historische Stadt Bagamoyo – ein faszinierendes Ziel für alle, die in Tansania auf der Suche nach Geschichte und Geschichten sind. Hier stoßen wir auf Relikte aus der deutschen Kolonialzeit und spüren überall die Spuren des Sklavenhandels, der Bagamoyo einst reich, berühmt – aber auch gefürchtet – machte. Heute gehört der Ort zu den Anwärtern auf das UNESCO-Weltkulturerbe und zieht vor allem Reisende an, die gerne abseits ausgetretener Pfade unterwegs sind.
- Das Alte Fort - vom Handelshaus zur Korallenfestung
- Der Deutsche Friedhof - letzte Ruhe am Strand
- Der Hanging Place - Mahnmal deutscher Kolonialschuld
- Das Zollhaus - Sklavenhandel und Gebühreneintrieb
- Der Fischmarkt - Frisches und Frittiertes
- Die Alte Schule - Rassismus und Integration
- Die Alte Post - Kommunikation seit 1896
- Der Alte Markt - Handel im Wandel
- Die Moschee - Spiegel der Religionsgeschichte
- Die Deutsche Boma - Repräsentation und Verwaltung
- Extratipp: Firefly Bagamoyo - Chillen am Pool
Nach langer Zeit als verschlafener Fischer- und Handelsort nahm Bagamoyos Geschichte vor etwa 250 Jahren eine unrühmliche Wendung. Ab Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt zum wichtigsten Handelshafen für Elfenbein und Sklaven, die aus dem afrikanischen Hinterland hierher gebracht und weiter auf die Arabische Halbinsel verschifft wurden. Nicht umsonst bedeutet „Bwaga-Moyo“ auf Swahili „Leg dein Herz nieder“ – denn keiner der versklavten Menschen hat in jener Zeit bis 1888 je seine Heimat wiedergesehen.
Erinnerungskultur kolonialer Vergangenheit
Mich fasziniert die deutsche Kolonialgeschichte und ihre Spuren in den betroffenen Ländern. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass diese Geschichte vor allem von Unterdrückung, Ausbeutung und einer aus europäischer Sicht erzwungenen „Zivilisierung“ geprägt war. Die willkürliche Grenzziehung in Afrika hat zudem Konflikte geschaffen, die den Kontinent bis heute belasten und seine Entwicklung hemmen.
Ein spannendes Projekt: Seit 2020 setzt sich die Dekoloniale kritisch mit der Geschichte des Kolonialismus und seinen Folgen auseinander – mit Führungen, Filmreihen und vielem mehr zu einem Thema, das bis heute (zu) oft übersehen wird.
Viel besser wurde es auch nicht, als die Deutschen für drei Jahre ihre ostafrikanische Kolonie von hier aus verwalteten. Offiziell war ihr Ziel die Abschaffung der Sklaverei: Sklaven durften sich freikaufen, Kinder galten per Gesetz als frei. Doch mit der Einführung einer Hüttensteuer wurde ein Großteil der Bevölkerung, für den Geld bislang kaum eine Rolle spielte, in die Fronarbeit für die Kolonialherren gedrängt. So brachten die Deutschen sowohl die Elite als auch die einfache Bevölkerung gegen sich auf.
Schließlich wurde das Hissen der Flagge der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft neben der des Sultans zum Auslöser einer Revolte, die von August 1888 bis etwa April 1890 dauerte. Bagamoyo war eines ihrer Epizentren. Die Rebellion, die früher als „Araberaufstand“ bezeichnet wurde, ist heute vor allem unter dem Namen Abushiri-Aufstand bekannt – benannt nach einem seiner wichtigsten Anführer.
Bagamoyos Bedeutung schwand schließlich, als Daressalam zur Hauptstadt erhoben wurde und die ersten Eisenbahnlinien ins Landesinnere fertiggestellt waren. Heute hängt die Zukunft der Stadt an zwei richtungsweisenden Entscheidungen: Werden China und Oman tatsächlich zehn Milliarden US-Dollar in einen Megahafen samt Sonderwirtschaftszone investieren? Und wird die “Central Slave and Ivory Trade Route” als UNESCO-Welterbe anerkannt? Ganz gleich, welches oder ob beide Projekte verwirklicht werden – die Stadt, die Reisende künftig hier erleben, wird eine andere sein.
Lohnt sich eine Guided Tour durch Bagammoyo?
Bagamoyos historische Zone ist klein und wir wollten unsere Stadttour eigentlich auf eigene Faust machen. Schließlich haben wir uns überreden lassen, eine Guide zu nehmen. Und wir haben es nicht bereut. Unser Führer Ghadaffi kannte die besten Wege, hat uns mit der ein oder anderen Anekdote versorgt und uns vor allzu neugierigen, teils auch aufdringlichen Blicken geschützt. Guides warten an der Touristinfo, direkt an der Old German Boma auf dich.
Das Alte Fort
Los geht es am Alten Fort. In den frühen 1860er-Jahren vom Händler Abdallah Suleiman Marhabi als Wohn- und Warenhaus erbaut, übernahm später Sultan Said Barghash, das Gebäude für seinen Repräsentanten vor Ort. Unter seiner Herrschaft diente es als einer der letzten Stopps vor der Verschiffung der Sklaven.
Die 50 bis 80 Zentimeter dicken Mauern der Festung bestehen aus Korallenschutt, der mit einem Mörtel aus Lateriterde und lokal gebranntem Kalk gefestigt wurde. Die Decken ruhen auf Mangrovenholzpfählen, zwischen die ebenfalls Meereskorallen geschichtet wurden. Darauf wurde für den Fußboden Kalkbeton gegossen. Diese für die Swahili-Architektur typische Bauweise sorgt bis heute auf natürliche Weise für ein angenehm kühles Raumklima. Ziemlich durchdacht, absolut klimafreundlich und ein toller Auftakt für unseren Rundgang!
Der Deutsche Friedhof
Nicht weit vom Fort entfernt erreichen wir den deutschen Friedhof direkt am Strand. Hier liegen 17 Soldaten begraben, von denen viele während des Abushiri-Aufstands ihr Leben verloren. Unter den nur drei zivilen Gräbern finden sich die Krankenschwester Antonie Bäumler, die nur sechs Tage alte Gretchen Schuller, Tochter des Repräsentanten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, sowie Heinrich Heins aus Hamburg, über dessen Rolle vor Ort wenig bekannt ist. Etwas abseits des eigentlichen Gräberfelds liegt zudem der britische District Commissioner William Francis Bamphile, der 1939 verstarb. Die kleine Anlage ist überraschend gut erhalten und wirkt sehr gepflegt.
Der Hanging Place
Kaum 100 Meter weiter führt uns Ghadaffi zum sogenannten „Hanging Place“. Hier – auch wenn der genaue Ort umstritten ist – sollen im Dezember 1889 sechs Teilnehmer des Aufstands an einem Baum gehängt worden sein.
Ghadaffis Haltung zu den Aufständischen hat uns etwas befremdet. Es wirkte fast, als halte er ihr Schicksal für verdient – immerhin hätten die Deutschen hier ja einiges geleistet. Diese zumindest teilweise positive Sicht auf die ersten europäischen Kolonialherren begegnet uns in Tansania immer wieder. Oft heißt es dann: Die Deutschen seien streng gewesen, hätten aber zumindest Eisenbahnen und Schulen gebaut, während die Engländer später vieles hätten verfallen lassen. Vermutlich ist diese Einschätzung vor allem darauf zurückzuführen, wie - vergleichsweise - wenig Zeit seit dem Ende Britisch-Tanganjikas im Jahr 1961 vergangen ist.
der Hanging Place
Das Zollhaus
Noch ein Stück weiter den Strand entlang erreichen wir das 1884/85 erbaute Zollhaus – von dem heute nur noch der nördliche Teil erhalten ist. Dieser wird noch immer von den örtlichen Behörden für Zollangelegenheiten genutzt. Von hier aus verließen einst die Menschen in überfüllten Booten das afrikanische Festland Richtung des Sklavenmarkts auf Sansibar. Bwaga-Moyo…
Der Fischmarkt
Direkt neben dem Zollhaus stoßen wir auf den örtlichen Fischmarkt. Hier bekommen wir einen spannenden Einblick in das geschäftige Treiben der Fischer und Händler. Die Ware wird frisch angeboten oder in speziellen Gruben frittiert – was die gesamte Anlage verrußt erscheinen lässt und ihr eine fast düstere Stimmung verleiht.
Gleich daneben befinden sich die noch sichtbaren Beton- und Eisenfundamente des Usagara-Hauses der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft. Hier lebten einst Hermann Schuller, seine Frau Alma und ihre gemeinsame Tochter Gretchen, deren Grab wir zuvor auf dem Friedhof gesehen haben.
Die Alte Schule
Vom Markt aus führt uns Ghadaffi weg vom Ozean in den historischen Stadtkern. Hier begegnen wir einigen Häusern mit den berühmten Swahili-Türen – leider oft in schlechtem Zustand. Auf Sansibar sind über 1.000 dieser kunstvollen Holztüren nummeriert, um ihren Verkauf zu verhindern. Die zweiflügeligen Türen stammen ursprünglich von Händlern aus Goa und sind reich an Symbolik: florale Motive deuten auf Gewürzhändler hin, Ketten auf Sklavenhalter.
Schließlich erreichen wir nach kurzem Weg die alte Schule – oder besser gesagt: shule (übrigens eines der wenigen Wörter, die das Swahili aus dem Deutschen übernommen hat, neben „hela“ für Geld, abgeleitet von Heller). 1886 schenkte der indische Kaufmann Sewa Haji das Grundstück der deutschen Verwaltung – unter einer klaren Bedingung: Die Schule sollte allen Ethnien offenstehen. Ganz ohne Rassismus kam es trotzdem nicht aus. Im größten Schulbau Deutsch-Ostafrikas wurden die Kinder nicht gemeinsam, sondern nach Etagen getrennt unterrichtet. Je heller die Hautfarbe, desto weiter oben …
2006 wurde die Schule mit großer Unterstützung des Freundeskreises Bagamoyo und der Marienschule Ahlen grundlegend saniert. Heute lernen hier viele Waisen und Halbwaisen – aber auch Kinder mit Behinderung. Es ist eine der wenigen integrativen Bildungseinrichtungen in ganz Tansania.
Die Alte Post
Das Gebäude der ehemaligen kaiserlichen Post, ganz in der Nähe der Schule, gehörte ursprünglich ebenfalls dem Kaufmann Sewa Haji, der es 1896 der Kolonialverwaltung schenkte. Aufgrund seiner Bedeutung für den Handel und als Endpunkt der Karawanenroute aus dem Landesinneren wurde hier das erste Post- und Telegrafenamt auf dem ostafrikanischen Festland eingerichtet. Es blieb bis Mitte der 1990er-Jahre in Betrieb und ist heute Teil eines Hotels – leider nicht unbedingt denkmalgerecht saniert.
Der Alte Markt
Nur einen Steinwurf von der ehemaligen Post entfernt liegt der bunte Kunstmarkt der Stadt. Über Kunst lässt sich bekanntlich streiten – aber „Kitsch für Touris“ trifft es meiner Meinung nach ganz gut. Doch die Geschichte dieses Ortes ist alles andere als bunt: Hier befand sich einst der Sammelpunkt für die Sklaven vor ihrer Verschiffung vom nahegelegenen Zollhaus. Und warum gerade von dort? Weil die Händler für jeden zu exportierenden Sklaven ein Kopfgeld entrichten mussten.
Die Moschee
Weiter ging es für uns zur nahegelegenen Moschee. Ursprünglich wurde sie vor allem von Menschen aus dem Oman genutzt – Sansibar war seit 1698 eine Kolonie des Oman. Später verlegte das Sultanat seine Residenz von Maskat nach Sansibar, bevor das Reich schließlich in zwei eigenständige Herrschaftsgebiete geteilt wurde. Die Moschee war einst ibaditisch geprägt (etwa 45 % der Bevölkerung Omans gehören dieser Richtung des Islam an) und ist heute sunnitisch.
Die Ruinen von Kaole und die
katholische Mission
Einige Kilometer außerhalb der Stadt liegen die Ruinen einer Moschee aus dem 13. Vermutlich handelt es sich bei den Überresten um die ältesten islamischen Gotteshäuser in Ostafrika. Wir haben die Ruinen von Kaole - genauso wie die katholische Mission samt Museum - ausgelassen, um nicht erst bei Einbruch der Dunkelheit wieder Richtung Daressalam aufzubrechen.
Das Arabische Teehaus
Als vorletzte Station unserer Tour durch Bagamoyo passierten wir das alte Arabische Teehaus. Um 1860 von Abdallah Marhabi – den kennen wir schon aus dem Alten Fort – als Kaffee- und Teehaus, Laden und Hotel erbaut, nutzten es die Deutschen später als Bürogebäude und Krankenhaus für Offiziere. Unter britischer Verwaltung kamen Verwaltungseinrichtungen hinzu, und nach der Unabhängigkeit diente das Gebäude als Schule, Bank und Ministeriums-Zweigstelle. Nach Jahren des Verfalls wurde es 2009 mit Hilfe einer schwedischen Entwicklungshilfeorganisation denkmalgerecht renoviert.
Warum ich nur ein Foto von der Rückseite gemacht habe? Vielleicht, weil es auch auf der „Tourist Map“ (siehe oben) so abgebildet war … Eher nicht. 😉 Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Und das, obwohl es wirklich schick aussieht – eines der am liebevollsten restaurierten Häuser der Stadt.
Die Deutsche Boma
Nach dem Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ endete unser Rundgang an der Boma von Bagamoyo, die 1894/95 als Verwaltungssitz für Deutsch-Ostafrika erbaut wurde. Die dreiflügelige Anlage misst etwa 40 mal 40 Meter, wobei der Risalit mit Freitreppe an der Front rund 24 Meter einnimmt. Auf zwei Etagen waren eine große Halle (Austragungsort des sogenannten „Eingeborenengerichts“), ein Versammlungssaal, eine Küche, sechs Lager- und zwei Wohnräume, drei Toiletten sowie diverse Büro- und Funktionsräume untergebracht. Wie so oft in der lokalen Kolonialarchitektur vereint der Bau maurische, volkstümliche und deutsche Elemente. Auch hier kamen klimatisch angepasste Materialien wie Korallensteine, Kalkmörtel und Kalkputz zum Einsatz.
Der Begriff Boma stammt übrigens aus dem Swahili und bezeichnet ursprünglich mit Palisaden gesicherte Gebäude. Die Boma diente bis 1997 der Distriktverwaltung, bevor sie wegen Einsturzgefahr geschlossen wurde. Eine Teilrenovierung 2010 – unter anderem mit der Rekonstruktion der Galerie im Obergeschoss, der Dachsanierung und neuem Putz – sicherte das historische Gebäude. Da die Boma heute frei zugänglich ist und wir völlig allein waren, konnten wir die mit originalen Fliesen belegten Räume ganz in Ruhe erkunden. In einem der Zimmer zeigte uns Ghadaffi einen alten Tresor, der angeblich seit dem Bau hier steht – zu schwer zum Abtransport, wie es heißt. Und da auch die Schlüssel längst verloren gegangen sind, weiß niemand, was die Deutschen dort wohl dagelassen haben. Okay, schöne Story …
Vom Dach aus bot sich uns ein großartiger Blick über die Straße von Sansibar und die Grünanlagen zwischen Strand und Haus. Unter uns, auf einem halbrunden Sockel, stand bis zu seinem Abriss 1946 das Wissmann-Denkmal von 1894. Hermmann (von) Wissmanns Privatarmee hatte hier unter anderem den Aufstand brutal niedergeschlagen – offiziell unter dem Vorwand, den Sklavenhandel zu bekämpfen, um in Deutschland etwa Abgeordnete der Zentrumspartei für die „gute Sache“ zu gewinnen. 1895 wurde der inzwischen geadelte Wissmann Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, zog sich jedoch bereits nach gut einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Anfang der 2020er-Jahre waren in Deutschland noch über 20 Straßen nach dem sogenannten „größten Afrikaner“ des Kaiserreichs benannt. Vor allem in Großstädten wie Berlin, Köln, Düsseldorf oder Bochum kam es in den letzten Jahren zu zahlreichen Umbenennungen. In Hamburg trägt die Wißmannstraße auch Jahre nach einem offiziellen Beschluss zur Umwidmung noch immer ihren alten Namen. Das letzte Wissmann-Denkmal steht in Bad Lauterberg im Harz. In Bagamoyo sind an den Stelen am Rand des Sockels noch einige Ringe erhalten, durch die einst die Umfriedungskette geführt wurde. Die Bronzetafeln aus Berlin, die früher am Denkmal angebracht waren, können heute im Nationalmuseum in Daressalam besichtigt werden.
Extratipp: Firefly Bagamoyo
Für einen kleinen Drink führte uns Ghadaffi während der Tour in die Firefly Lodge geführt. Das Boutique-Hotel mit angeschlossener Camping Site ist in einem wunderschön renovierten alten Gebäude untergebracht – dem aus Korallenstein erbauten Abdun-Palast. In der herrlichen Gartenanlage lässt es sich wunderbar aushalten – und dabei darüber nachdenken, dass man eigentlich auch gut eine Nacht in Bagamoyo hätte verbringen können …
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