Auf den Kilimandscharo über die Rongai-Route

Jambo wasafiri – Hallo Reisender! Komm mit auf eine unvergessliche 7-tägige Kilimandscharo-Besteigung über die Rongai-Route, die dich auf das höchste Bergmassiv Afrikas führt. Als einzige von sieben Routen startet sie auf der Nordseite des „Kili“ und ermöglicht es, den Berg zu überschreiten – du steigst also auf einem anderen Weg hinab, als du hinaufgeklettert bist.

In meinem Erfahrungsbericht findest du wertvolle Tipps für die Vorbereitung (inklusive Packliste zum Download), Hinweise zur Auswahl einer passenden Agentur und Einblicke in den Ablauf der Kilimandscharo-Besteigung. Und natürlich nehme ich dich mit auf einen der anstrengendsten – aber vielleicht auch schönsten – Spaziergänge der Welt. Also dann: Twende zetu - auf geht's!

Wenn ich je einen Sehnsuchtsort hatte, dann war es der Gipfel des Kilimandscharo. Schon mit 15 oder 16 Jahren träumten ein Schulfreund und ich davon, gemeinsam auf dem Dach Afrikas zu stehen. Mehr als ein Vierteljahrhundert später haben wir uns – zusammen mit zwei weiteren Freunden – diesen Traum erfüllt. Und ja: Es war tatsächlich ein Traum. Es hätte nicht besser laufen können.

Vorher hatte ich so einiges über die Schattenseiten einer Kilimandscharo-Besteigung gelesen: über überfüllte und vermüllte Campsites, unterbezahlte und schlecht ausgerüstete Träger, höllische Kopfschmerzen und Übelkeit. Nichts von alldem haben wir erlebt. Sicher war manches einfach Glück – etwa, dass wir an den meisten Zeltplätzen fast allein waren. Anderes konnten wir beeinflussen, zum Beispiel durch die Wahl einer nachhaltigen Agentur. Heraus kam eine unfassbar schöne Woche zwischen tropischem Bergregenwald, alpiner Wüste und (leider nicht mehr) ewigem Eis.

Um dir zu helfen, ein ähnlich tolles Abenteuer am Kilimandscharo zu erleben, möchte ich meine Erfahrungen mit dir teilen: von der Vorbereitung der Reise (auch was die körperliche Fitness betrifft) über die Auswahl der passenden Agentur und Route bis hin zu unvergesslichen Erinnerungen an sieben Tagen am Kilimandscharo. Sieben Tagen, die ich hoffentlich nie vergessen werde – und von denen ich dir wünsche, dass du sie ganz ähnlich erleben wirst.

Gletscherfeld auf dem Kilimandscharo
Schmelzende Pracht - Furtwängler-Gletscher und Nördliches Eisfeld am Kibo-Krater

Kilimandscharo-Überschreitung auf der Rongai Route

Die Vorbereitung

Körperliche Fitness

Ich habe mich vorab ziemlich verrückt gemacht, was die Fitness angeht. Wobei – nein: Eigentlich hatte ich eher Angst vor der Höhenkrankheit. Ich habe sogar kurz überlegt, mich im bewegungsfelder Sport- und Höhenzentrum in Essen professionell vorzubereiten. Am Ende haben mich die hohen Zusatzkosten jedoch abgeschreckt. Stattdessen habe ich mich nach ärztlicher Rücksprache und in Abstimmung mit unserem Guide für die präventive Einnahme von Acetazolamid (Diamox) auf der Tour entschieden. Laut der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin ist das Mittel „zur Prävention der akuten Bergkrankheit geeignet, zur Prävention des Höhenlungenödems (...) nach schnellem, aktivem Aufstieg auf 4.559 m jedoch nicht …“ (zum Artikel)

Gezielt vorbereitet habe ich mich ansonsten kaum – abgesehen davon, dass ich etwas mehr wandern war und im Fitnessstudio öfter aufs Laufband gestiegen bin. Für mich als grundsätzlich relativ fitten Menschen hat das gereicht. Aber das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden und schauen, womit er oder sie sich wohlfühlt. Eine gewisse Grundfitness sollte definitiv vorhanden sein: Man sollte sich in der Lage fühlen, in unseren Mittelgebirgen zumindest 25 Kilometer mit leichtem Gepäck zu gehen. Das vielleicht als sinnvolle Faustregel.

Agentur und Route

Bei der Auswahl der Agentur war uns wichtig, dass sie nachhaltig arbeitet – also ihre Träger fair bezahlt und sie nicht mit überladenen Gepäcken durch den Kilimandscharo-Nationalpark jagt. Zwar werden die Lasten am Parkeingang gewogen und dürfen 20 Kilogramm pro Person nicht überschreiten, doch hört man immer wieder von Überschreitungen. Wir haben uns für den Anbieter African Zoom entschieden, der als Partnerunternehmen beim Kilimanjaro Porters Assistance Project gelistet ist und einem Monitoring unterliegt, das faire Behandlung und Qualifizierung sicherstellt. Das macht die Reise zwar etwas teurer, sorgt aber für ein deutlich besseres Gefühl. Und wir haben unsere Wahl definitiv nicht bereut: Guides, Porter, Köche – die gesamte Betreuung während des Treks war top. Ein großer Dank geht raus an Shidi, seinen Assistenten Bob, Koch Wilson, Waiter Stewart, Nelson, Anthony, Yusuph und alle anderen!

Das Kilimanjaro Porters Assistance Project

  • Partner-Agenturen des KPAP zahlen mindestens 20.000 Tansania-Schilling (im Schnitt 21.0000), während teilweise unter 10.000 pro Tour gezahlt werden
  • ... garantieren transparente Trinkgeld-Politik, um alle Träger von den obligatorischen Tipps profitieren zu lassen
  • ... bieten den Trägern 3 Mahlzeiten am Tag
  • Träger auf über 37.000 Besteigungen konnten bisher kostenlos Ausrüstung über das KPAP ausleihen (jeweils Stand 2024)
  • > 16.000 Träger haben an freien Kursen zu HIV/AIDS teilgenommen
  • > 4.000 Träger haben während der Pandemie an Workshops zu Budgetierung, alternativen Einkommensprojekten, Dorfgemeinschaftssparen und ökologischem Landbau teilgenommen
  • > 1.000 Träger haben an die Leave No Trace-Zertifizierung für Umweltpflege erhalten. 16 Träger wurden als LNT-Ausbilder zertifiziert
  • ca. 1.500 Träger wurden in Erster Hilfe zertifiziert und 84 Träger und Führer wurden zu Erste-Hilfe-Ausbildern ausgebildet

Gruppenfoto mit Trägern und Guides
Unsere Crew und wir beim Abstieg

Nun zur Route. Sieben verschiedene Strecken führen auf den Gipfel – aber welche passt zu einem selbst? Ein kleiner Vergleich mit Getränken hilft: während die einen auf harten Scotch stehen, mögen andere lieber Cola Zero und noch wieder andere irgendwas dazwischen. So wie wir. Also sollte es für uns weder die schwere Machame- (oder Whiskey-) noch die eher einfache Marangu-Route mit ihren Hütten sein. Also wählten wir auf Vorschlag von African Zoom die Rongai Route, die unser Chefguide Shidi liebevoll als Weißwein-Variante beschrieb.

Diese Tour startet am nördlichen Rand des Nationalparks, nur wenige Kilometer von der kenianischen Grenze entfernt, und bietet Wanderern eine - wie erwähnt - sogenannte Bergüberschreitung. In Bergsteigerkreisen genießt eine Überschreitung oft einen höheren Stellenwert, doch beim Kilimandscharo spricht man eher vom „anstrengendsten Spaziergang der Welt“ als von echtem Bergsteigen. Der eigentliche Vorteil der Überschreitung: Man sammelt unterwegs mehr Eindrücke und sieht den Kibo aus verschiedenen Perspektiven.

Der Aufstieg über die Rongai-Route wird trotz ihres Charmes nur von etwa 15 Prozent der Wanderer begangen und kann in fünf bis sechs Tagen absolviert werden. Wir haben für unsere 4er-Gruppe einen zusätzlichen Akklimatisierungstag eingeplant – ein echter Vorteil, der zwar das Budget belastet, aber über Erfolg oder Misserfolg entscheiden kann.

Henrik am Rongai Gate, dem Start der Wanderung
Frisch am Start - das Rongai Gate
Buch zur Registrierung der Wanderer am Kilimandscharo
Obligatorisch - die Registrierung aller Wanderer vor dem Start

Und noch einkleiner Bonus: Durch die abgeschiedene Lage ist Telefonieren und Surfen im Netz auf der Rongai-Route bis zum Abstieg kaum möglich – eine Wohltat! Mein Smartphone hatte nach fünf Tagen noch immer 75 Prozent Akku, obwohl ich es als Kamera genutzt habe. Selbst das Ergebnis eines HSV-Spiels habe ich erst zwei Tage später erfahren – und es hat mich nicht gestört. Gerade dieser Aspekt hat mich an der Tour extrem begeistert: das völlige „Raus sein“. Nichts anderes tun müssen, als die Natur genießen, wandern, essen, schlafen – großartig. Selten zuvor bin ich so zufrieden eingeschlafen wie in diesen sieben Tagen. Und das in einem Zelt! Eigentlich dachte ich immer, Camping wäre nichts für mich. Denke ich eigentlich auch immer noch. Aber am Kili? Genau das Richtige.

Generell stehen nur auf der Marangu-Route Hütten für die Bergsteiger zur Verfügung. Wir konnten sie beim Abstieg besichtigen – der Trubel in und um die Hütten passt für mich nicht in die Umgebung. Ich würde dir definitiv raten: eine Camping-Route wählen!

Equipment

African Zoom hat uns vorab eine Packliste zur Verfügung gestellt, die sich insgesamt als sehr sinnvoll erwiesen hat. Auf einige der empfohlenen Gegenstände kann man meiner Meinung nach aber verzichten – etwa auf Chlortabletten (das Wasser wird aus Bergbächen entnommen und abgekocht) und Toilettenpapier (ist ausreichend vorhanden).

Was ich beim nächsten Mal zusätzlich mitnehmen würde: eine dünne Isomatte, um die gestellte Matratze von unten besser zu isolieren. Auch ein kleines Kissen wurde bereitgestellt, aber ich war sehr froh, zusätzlich ein eigenes Reisekissen dabeizuhaben – so konnte ich in der Nacht auch mal die Schlafposition wechseln.

An Ausrüstung am Start hatte ich:
  • Tagesrucksack (20 bis 30 Liter)
    Für alles, was man für die Wanderung am Tage braucht. Vor allem Wasser, etwas Proviant (z.B. Energieriegel) und verschiedene Schichten Oberbekleidung. Insgesamt trägt man so ca. 5 Kilogramm auf den Schultern.
  • Großes Duffle Bag
    Für alles, was man nicht am Tage braucht, und was von den Portern getragen wird. Insgesamt sollte das eigene Gepäck 15 Kilo nicht überschreiten. 5 trägt man selbst, 10 ein Träger, der insgesamt (Ausrüstung, Verpflegung etc.) maximal 20 Kilo trägt.
  • Wanderschuhe
  • Leichte Schuhe (z.B. Laufschuhe)
  • Wandersocken
  • Wanderstöcke
  • Leichte Socken
  • Wintermütze
  • Sturmhaube/Balaclava
  • Kappe mit Nackenschutz oder Sonnenhut
  • Sonnenbrille (Kategorie 4)
  • Leichter Schlauchschal
  • Fleece-Schlauschal
  • Dünne Funktionshandschuhe (Fahrrad- / Laufhandschuhe)
  • Dicke Skihandschuhe
  • Kombinierte Softshell- und Fleecejacke
  • Thermounterwäsche
  • Winddichte Hose / Softshell-Hose
  • Regenhose
  • Funktionsshirts (vornehmlich aus Merino)
  • Fleecepullover
  • Regenjacke
  • Microfaser-Handtuch
  • Stirnlampe
  • Wasserblase für den Tagesrucksack
  • Zusätzliche Trinkflasche
  • Kurze Hose / Sporthose
  • Schlafsack (bis -15°C)
  • Kulturtasche samt Inhalt
  • Schlafsack
  • Reisekissen

Anreise

Wir dachten, es wäre schlau, die internationalen Flüge getrennt von den Inlandsflügen zu buchen. War es nicht. Zumindest nicht, wenn man nahe der niederländischen Grenze lebt. Anstatt für einen ähnlichen Preis von Amsterdam (z. B. mit KLM oder Turkish Airlines) direkt durchzubuchen, wählten wir einen Flug von Düsseldorf über Istanbul nach Daressalam – und von dort einen weiteren nach Arusha.

Zwar war es ganz spannend, in einer kleinen Propellermaschine über die Steppe zu fliegen, aber so spannend dann auch wieder nicht. 😉 Nun gut, man lernt nie aus. Immerhin war der abschließende dreitägige Aufenthalt in der tansanischen Metropole Daressalam samt Stadionbesuch und Ausflug nach Bagamoyo ein lohnendes und authentisches Erlebnis – inklusive spannender Einblicke in die (oft nicht sehr ruhmreiche) deutsche Kolonialgeschichte.

Auf dem Rollfeld am Flughafen Daressalam
Weiterflug zum Kilimanjaro International Airport von Arusha

Am Kilimanjaro International Airport wurden wir schließlich von African Zoom in Empfang genommen und die verbleibenden 50 Kilometer zur Outpost Lodge in einem grünen Stadtviertel Arushas gefahren. Das Haupthaus der schönen Anlage gehörte übrigens einst Bernhard Grzimek, der von hier aus seine Projekte im damals noch britischen Tanganyika leitete – darunter die Dreharbeiten zum oscarprämierten Film Serengeti darf nicht sterben von 1959.

Nach einer kurzen Erkundung der Stadt – unter anderem befindet sich hier der Mittelpunkt der Linie Kairo–Kapstadt – treffen wir unseren Guide Rashid, genannt Shidi. Er gibt uns ein kurzes Briefing zum Ablauf der Tour und macht uns Hoffnung, dass wir – wenn sein erster Eindruck ihn nicht täuscht – es alle bis zum Gipfel schaffen können.

Zur Einordnung: Laut aktuellen Schätzungen liegt die Erfolgsrate aller Kilimandscharo-Besteigungen bei etwa 75 Prozent. Die Quote für die 7-tägige Wanderung über die Rongai-Route liegt sogar bei rund 85 Prozent, während die kürzere 6-tägige Variante auf etwa 70 Prozent kommt. Insgesamt erreichen derzeit etwa 50.000 Menschen pro Jahr den Uhuru Peak – während leider rund zehn Menschen jährlich bei diesem Versuch ums Leben kommen.

Doch nun genug gequatscht – es geht los!

Tag 1: Rongai Gate - Simba Camp

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Schulkinder auf unserem Weg zum Rongai Gate
Auf dem Weg zum Rongai Gate

Am Morgen des ersten Tages sammelte uns die 12-köpfige Crew mit dem Bus an der Lodge ein. Rund vier Stunden und 175 Kilometer später erreichten wir den Startpunkt der Rongai-Route an der Nordostflanke des Berges. Unterwegs hatten diejenigen aus unserer Gruppe, die nicht das komplette Equipment mitgebracht hatten, noch Gelegenheit, in einem offiziellen Lager der Nationalparkverwaltung fehlende Ausrüstung wie Schlafsäcke gegen Gebühr zu leihen.

Am Rongai Gate angekommen hieß es: Wanderung registrieren, einen Happen essen, Wasserbehälter auffüllen – und los! Die erste Etappe führte uns als langsamen Aufgalopp von 2.364 Metern Höhe am Startpunkt zum Simba Camp auf 2.671 Metern. Der gut ausgebaute Wanderweg schlängelt sich gemütlich durch den tropischen Bergregenwald – die zweite von insgesamt fünf Vegetationszonen am Kilimandscharo. Die erste Zone, das Kulturland mit Ackerbau, Viehzucht und Plantagen, hatten wir bereits mit dem Bus durchquert.

Der sanft ansteigende Weg verlangte uns wenig ab, und so erreichten wir unser erstes Tagesziel überraschend schnell. Nach dem abendlichen Briefing (Gesundheitscheck, Planung für den nächsten Tag, Fragen an die Guides) genossen wir erstmals das erstaunlich köstliche Dinner und staunten über den grandiosen Sternenhimmel der Südhalbkugel. Meine kurz zuvor eingefangene Erkältung war zum Glück fast abgeklungen, und so verschwand ich bald in meinem Zwei-Personen-Zelt – bereit für die erste kühle Nacht am Kilimandscharo.

Unsere Gruppe am Rongai Gate
Gut gelaunt vor dem Start

Tag 2: Simba Camp - Second Cave

An Tag zwei bekamen wir in einiger Entfernung erstmals den finsteren Bruder des Kibo („Der Helle“ auf Swahili) zu Gesicht: den Mawenzi („Der Dunkle“), mit seiner zerklüfteten Spitze, dem 5.148 Meter hohen Hans-Meyer-Peak – immerhin der dritthöchste Punkt Afrikas. Doch bis wir ihm wirklich nah kommen durften, sollten noch ein paar Tage vergehen.

Unterwegs begann sich langsam die Vegetation zu verändern. Die Bäume wurden kleiner und kleiner, bis sie schließlich Sträuchern und urzeitlich wirkenden Pflanzen wie dem Riesen-Greiskraut (Dendrosenecio kilimanjari) und Gräsern wichen. Wir waren angekommen in der dritten Vegetationszone: dem feucht-kühlen Moorland.

Auf dem Trail passierten wir eine Reihe tiefer Lava-Höhlen, die in früheren Tagen als Schlafstätten für die Crews dienten. Shidi ging mit mir etwa hundert Meter ins Innere einer solchen Höhle – ziemlich finster, ein bisschen unheimlich, aber auch ziemlich cool.

Unsere Campsite an der Second Cave (3.450 m) hatten wir – wie alle bis zu den Kibo Huts – fast für uns allein. Ein echtes Glück, wenn man sich die oft überfüllten Bilder im Netz anschaut, und sicher auch ein Grund, warum diese Reise so besonders war.

Der Rest des Tages bestand aus: entspannen, essen, lesen, trinken, unterhalten. Reicht.

Guide Rashid und Henrik auf einer der Lavahöhlen
Rashid "Shidi" und ich auf einer der Lavahöhlen
Henning steckt seinen Kopf durch das Loch in der Decke einer Höhle
Guckuck!
Henrik und Michael am Tisch im Camp
Im Camp an der Second Cave

Tag 3: Second Cave - Kikilewa Camp

Tag drei: Akklimatisierungstag. Doch bevor es losging, durften wir uns erst einmal auf andere Weise bewegen – tanzend, begleitet vom Gesang unserer Crew. Klar, diesen Tanz führen die Jungs für alle Gruppen auf. Trotzdem habe ich es als einen der besonders schönen und verbindenden Momente der Wanderung in Erinnerung behalten.

"Jambo! Jambo bwana!
Habari gani? Mzuri sana!
Wageni, mwakaribishwa!
Kilimanjaro? Hakuna matata!"



Der Weg führte uns immer wieder bergauf, um gleich darauf wieder hinabzugehen – das klassische „Walk high – sleep low“-Prinzip. Die Bewegung in einer Höhe um die 3.500 Meter verschaffte uns einen zusätzlichen Tag, um die Sauerstofftransportkapazität des Blutes zu verbessern, sprich: die Zahl der roten Blutkörperchen zu erhöhen. Bergsteiger auf der ganzen Welt verfahren nach diesem Motto, um den Körper sanft an die Höhe zu gewöhnen. Man „zwingt“ ihn quasi, sich anzupassen – und gönnt ihm nachts die nötige Erholung.

Insgesamt führten uns diese Auf- und Abstiege etwa fünf Kilometer durchs Moorland, vorbei an Farnen, Moosen und Sträuchern. Der Abend verlief wie gewohnt: Chefkoch Wilson zauberte wieder ein köstliches Dinner aus seiner Feldküche, wir krochen satt und zufrieden in die Zelte – nicht ahnend, dass uns schon am nächsten Morgen ein erstes Highlight erwarten würde.

Guide Shidi gibt während einer Pause Erklärungen zu Wanderung
Shidi gibt Instruktionen

Tag 4: Kikilewa Camp - Mawenzi Tarn Hut

Wie jeden Morgen wurden wir von Stewart freundlich mit den Worten begrüßt: „Tea or coffee, Sir?“ Ein Heißgetränk in der Hand, galt es, die steifen Glieder zu lockern. Soweit so gut. Nur die Kulisse war heute eine ganz andere: Wenige hundert Meter unter unseren Zelten lag die geschlossene Wolkendecke wie ein Daunenbett über der kenianischen Savanne, beleuchtet von der strahlenden Sonne über dem Haupt des Kibo, den wir hier zum ersten Mal in seiner ganzen Pracht – wenn auch noch aus einiger Entfernung – sehen konnten. Allein für diesen Moment hätte ich den ganzen Urlaub schon extrem gefeiert, so einzigartig und schön war er. Doch es sollte nicht der schönste bleiben – der Kilimandscharo hatte noch einige fantastische Augenblicke für uns in petto.

Blick vom Camp auf die sonnenbeschienene Wolkendecke
Unter uns die Wolken...

Nach diesem Knallstart in den Tag standen immerhin 600 Höhenmeter und ein weiterer Wechsel der Vegetationszone auf dem Programm. Etappenziel: die Mawenzi Tarn Hut auf 4.315 Metern. Der Weg dorthin bot atemberaubende Blicke auf den Kibo – und auf das, was uns zwei Tage später als Aufstieg bevorstand. Faszinierend und ein bisschen beängstigend zugleich.

Guide Shidi gibt während einer Pause Erklärungen zur Wanderung
Die hellgraue Spur von den Hütten unten links wird unsere Gipfelroute sein...

Das Camp unterhalb des Mawenzi liegt in einem Kessel, tief unterhalb des Gipfels, inmitten einer wilden, fast vegetationslosen Gerölllandschaft – der Alpinen Wüste, Zone Nummer 4. In der Mitte des Kessels schimmert ein kleiner, gelblich gefärbter See, über den immer wieder dichte Wolken hinwegziehen. Von einer Sekunde auf die andere wechselte das Wetter: von frühlingshaft mild zu eisig kalt, von strahlender Sonne zu dichtem Nebel.

Wir nutzten die Zeit für eine anderthalbstündige Wanderung mit Bob und Shidi auf 4.600 Meter Höhe, um nach dem „walk high – sleep low“-Prinzip weiter zu akklimatisieren. Die Aufregung stieg – immerhin stand uns die letzte „ganze“ Nacht vor dem Gipfelversuch bevor. Neben einem brasilianischen Pärchen waren wir auch an diesem faszinierenden Ort wieder allein. Und mir fiel zum ersten Mal auf, dass die Mondsichel hier am Äquator auf dem Rücken liegt. Ob das wohl „zunehmend“ oder „abnehmend“ heißt?

Kleiner See im Mawenzi Tarn Camp
Im Mawenzi Tarn Camp
Unsere Gruppe vor dem Hinweisschild der Mawenzi Tarn Hut
Gut angekommen!
Panorama des Tals unterhalb des Mawenzi
Der Talkessel unterhalb des Mawenzi
Die Zelte stehen einsam im abendlichen Camp am Mawenzi
Dämmerung im Mawenzi Tarn Camp

Tag 5: Mawenzi Tarn Hut - Kibo Hut

Wie immer begann auch dieser Tag mit dem Wecken zum Sonnenaufgang gegen 6 Uhr und einem reichhaltigen Frühstück. Doch die Beschaffenheit der Etappe war diesmal völlig anders als an den Tagen zuvor. Abgesehen vom Anfang führte der Weg über die endlos wirkende (in Wirklichkeit knapp fünf Kilometer lange) Weite des Saddle zwischen Mawenzi und Kibo. Fast den ganzen Tag hatten wir den Anblick dessen vor Augen, was uns am kommenden Tag – oder besser: in der kommenden Nacht – bevorstehen würde.

Ein Teil der Gruppe auf dem Sattel des Kilimandscharo den Mawenzi im Rücken
Auf dem Sattel.
Die Gruppe wandert im Gänsemarsch dem Guide hinterher
Im Gänsemarsch dem Ziel entgegen.

Die Alpine Wüste zeigte sich hier noch karger, noch unwirtlicher. Selbst die fast unverwüstliche Everlasting Flower war nur noch vereinzelt zu sehen und verschwand schließlich ganz. Die ansonsten völlig leere Landschaft, nur durchbrochen von einzelnen großen Lavafelsen, wurde von einem ständigen Wind durchweht, der uns daran erinnerte, dass die tropischen Gletscher kaum 1.000 Meter höher liegen.

Die krassen Temperaturschwankungen – gefühlt von Frost bis über 20 Grad – zwangen uns immer wieder zu kurzen Stopps für Klamottenwechsel. Diese Pausen waren willkommene Gelegenheiten, um in der zunehmend dünnen Luft durchzuschnaufen und neue Kraft zu tanken.

Nach langen fünf Stunden führte uns ein letzter Anstieg zu den Kibo Huts auf 4.720 Metern Höhe. Hier treffen mehrere der sieben Gipfelrouten zusammen, unter anderem die stark frequentierte Marangu- (Coca-Cola-) Route. Mit dem Alleinsein war es also vorbei. Oberhalb unseres etwas abseits gelegenen Zeltplatzes standen nicht nur feste sanitäre Anlagen, sondern auch Hütten für kleine Gruppen zur Verfügung.

Nach den letzten Instruktionen und motivierenden Worten unserer Guides ging es dann schnell ins „Bett“. Und anders als befürchtet, fiel ich trotz Anspannung und Aufregung rasch in einen kurzen Schlaf – der kurz nach Mitternacht für den finalen Aufstieg enden sollte.

Gruppenfoto am Schild der Kibo Huts
Nur noch eine Nacht...

Tag 6: Kibo Hut - Uhuru Peak - Horombo Hut

Es gibt Momente, auf die man lange hinfiebert, über die man sich ausmalt, wie sie sich wohl in der Realität anfühlen werden. Als Kind und Jugendlicher war das für mich zum Beispiel der Abiball – ich hatte ihn mir schon während der Unter- und Mittelstufe in bunten Farben ausgemalt. Und eigentlich kommt es dann immer anders, als gedacht: mal besser, mal weniger gut, aber auf jeden Fall anders. Das galt für die Abifeier 1997 genauso wie für den Tag des Aufstiegs zum Uhuru Peak.

In meiner Vorstellung bestand dieser Tag aus zwei Momenten: dem frühen Aufstehen und dem Erreichen des Gipfels. Vor dem ersten hatte ich ziemlichen Respekt, weil ich Angst hatte, völlig übermüdet zu sein. Auf den zweiten freute ich mich riesig – immerhin war er der Höhepunkt und Grund der ganzen Reise, seit über 25 Jahren in meinem Kopf. Im Rückblick waren es dann aber ganz andere Momente, die diesen Tag für mich so prägend gemacht haben.

Michael und Henrik sind parat für den Aufstieg
Kurz nach Mitternacht. Es wird ernst.

Der Start kurz vor 1 Uhr nachts verlief ziemlich routiniert: alles anziehen, was man dabeihat, ein bisschen was essen, Wasser auffüllen, Stirnlampe an – und los. In völliger Dunkelheit ging es Schritt für Schritt, pole, pole, in kleinen Serpentinen über den weichen Bimsstein immer weiter nach oben. Heißer Ingwertee half, die Energiespeicher aufzufüllen, und trotz leichter Kopfschmerzen ging es stetig voran. Vorbei an der Hans-Meyer-Cave auf 5.300 Metern kamen wir zügig zu den (warum auch immer) sogenannten Jamaica Rocks, einem Geröllfeld kurz unterhalb des Kraterrands.

Henrik bei einer Pause kurz vor dem Kraterrand
Ziemlich im Arsch - aber glücklich und zufrieden.
Die Sonne geht über dem Mawenzi auf
Fantastisch der Mawenzi im ersten Sonnenlicht.

Und dann kam dieser Moment – oder besser gesagt: der Moment, der völlig unverhofft zum schönsten der ganzen Woche wurde. Ich würde fast sagen, ich habe mich selten in meinem Leben so rundum zufrieden gefühlt. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber es war so. Die aufgehende Sonne tauchte den Mawenzi und den viele hundert Meter unter uns liegenden Sattel in ein magisches, goldenes Licht, das ich so noch nie gesehen hatte. In diesem Moment waren alle Anstrengungen der letzten Stunden – es war mittlerweile etwa 6 Uhr – vergessen. Ich gehe zwar viel laufen, aber ein Runner’s High wie dieses – nennen wir es Climber’s High – habe ich noch nie erlebt. „I’m just happy“, so lautete meine Antwort auf Wilsons besorgte Frage, ob bei mir alles okay sei. Die Tränen in meinen Augen hatten ihn wohl beunruhigt.

Blick auf den sonnenbeschienenen Krater mit Gletscher
Blick vom Gilman's Point zu den Resten des östlichen EIsfelds mit dem Stufengletscher.

Am Gilman’s Point angekommen, war ich so euphorisch, dass ich dachte, den Rest der Strecke rennen zu können. Ich scherzte mit einem passierenden Paar, lachte, machte Sprüche – mich konnte nichts mehr aufhalten! Aber erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Es folgten 210 Höhenmeter aus der Hölle. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich wie durch hüfthohes Wasser zu bewegen. Es ging einfach nicht mehr voran. Schritt für Schritt schleppte ich mich mit meinen Stöcken weiter, der Puls raste, Wilson übernahm meinen Tagesrucksack und reichte mir Wasser aus dem halb gefrorenen Camel Bag. Zum Glück kam nach ein paar Kurven endlich das lang ersehnte Gipfelschild in Sicht. Und mit ihm die zweite Luft.

Es war geschafft! „Congratulations, you are now at Uhuru Peak, 5.895 m amsl. Africa’s highest point. World’s highest free-standing mountain. One of the world’s largest volcanoes.“ So steht es geschrieben. Der große Moment, den ich mir so oft ausgemalt hatte, kam hier oben nicht – aber den hatte ich ja auch gerade erst erlebt. Es war schön, befriedigend, sich mit den Jungs und unseren Helfern in den Armen zu liegen und das obligatorische Gipfelfoto zu machen. Aber es hatte auch etwas Geschäftsmäßiges: viele Leute, Warten, bis man dran ist – ein bisschen nach dem Motto: „Das haben wir jetzt auch abgehakt.“

Wir durften etwa eine Viertelstunde am höchsten Punkt Afrikas bleiben und die grandiose Aussicht genießen. Länger wäre auch nicht ratsam – oberhalb von 5.300 Metern ist eine dauerhafte Akklimatisierung für den Körper nicht möglich, und es wird kein Risiko eingegangen.

Blick über Eisfelder unterhalb des Kibo-Gipfels
Eisfelder unterhalb des Kibo-Gipfels: Rebmann- und Kersten-Gletscher
Gruppenfoto am Gipfelschild des Kilimandscharo
Pflichttermin am Gipfelschild.
Die Gruppe auf dem Weg ins Tal
Keine Serpentinen mehr - runter geht's straight on!

Beim Abstieg begegneten wir noch einem älteren Herren, den wir einige Stunden zuvor völlig erschöpft überholt hatten – er hatte tatsächlich noch die Kraft gefunden, sich durchzubeißen. Das hat mich in dem Moment wirklich sehr für ihn gefreut.





Zurück zu den Kibo Huts ging es dann fast im Laufschritt, und dort wurden wir von der zurückgebliebenen Crew mit Gesängen, Glückwünschen und heißem Tee empfangen. Die leichten Kopfschmerzen waren bereits auf dem Weg nach unten verschwunden, und mir ging es einfach nur gut – erschöpft, aber glücklich. Da war es auch kein Problem mehr, dass noch einige Stunden bis zu den Horombo Huts vor uns lagen.

Auf dem Weg dorthin sahen wir den Mawenzi zum ersten Mal von seiner anderen Seite und stießen langsam wieder ins urige Moorland vor. Das Camp an den Horombo Huts wirkte fast ein wenig wie Disneyland: Man konnte Cola kaufen, Drohnen surrten, Kamerateams drehten für eine Reportage, es lief Musik. Trotzdem hatten wir – wie könnte es nach so einem Tag anders sein – einen wunderbaren Abend, der mit einem spektakulären Sonnenuntergang gekrönt wurde.

Die endemische Pflanze Dendrosenecio kilimanjari
Zurück im Moorland: Dendrosenecio kilimanjari.
Sonnenuntergang an den Horombo Huts
Sonnenuntergang an den Horombo Huts.

Tag 7: Horombo Hut - Marangu Gate

Der letzte Tag am Berg! Wir waren einfach nur gut drauf und gingen die letzten Kilometer entspannt an. Ein bisschen geriet der Weg zum Parkausgang am Marangu Gate zu unserem kleinen, gefühlten Triumphzug. Entgegenkommende Guides fragten uns, ob wir es geschafft hätten, und motivierten ihre gerade erst gestarteten Schützlinge mit einem aufmunternden: „They made it to the top! God bless them!“ Wir fühlten uns wie alte Haudegen, Urgesteine des Alpinismus und Forschertums. Amundsen, Scott und Reinhold Messner können einpacken. Natürlich alles Quatsch und Spaß – aber hej, wir hatten als Jugendliche einen Traum, wir sind ihn irgendwann angegangen und wir haben es gepackt. Von daher darf man sich auch mal freuen und ein bisschen feiern (lassen).

Blick auf den weit entfernten Kibo
Ein Blick zurück...
Gedenktafel für Hans Meyer
Gedenktafel für Hans Meyer

Am Marangu Gate, zurück im tropischen Bergregenwald, gönnten wir uns schließlich die Biere, die wir die ganze Zeit mit uns herumgetragen hatten, und stießen auf unseren gemeinsamen Erfolg an. Ein Erfolg, der ohne die fantastische Betreuung und Begleitung unserer Crew nicht denkbar gewesen wäre – ihnen gebührt ein riesengroßer Dank. Bei Hans Meyer, Ludwig Purtscheller und Muini Amani, die 1889 als Erste den Gipfel erreichten, sah das sicher noch etwas anders aus – damals, als der Berg noch von gut 20 Quadratkilometern (heute weniger als 1,0) Eis bedeckt war.

Wer Lust hat, sich mit der Erstbesteigung des Kilimandscharo näher zu beschäftigen, dem empfehle ich Meyers Buch „Ostafrikanische Gletscherfahrten“. Allerdings sollte man sich bewusst sein: Es ist stark von kolonialistischen Ideologien geprägt und spiegelt die asymmetrischen Machtverhältnisse und rassistischen Vorurteile jener Zeit wider.

Zurück in der Lodge brachte uns Shidi am Abend, um unseren Erfolg „offiziell“ zu machen, unsere Urkunden vorbei – und schenkte mir sogar eine Karte des Kilimandscharo. Zertifikat Nummer 439303 und die Karte erinnern mich seither fast jeden Tag daran, dass ich am 29. September 2019 um 07:45 Uhr "successfully climbed Mt. Kilimanjaro the Highest in Africa to Uhuru Peak 5895m amsl". Und darüber bin ich ziemlich froh.

Die Gruppe trägt Guide Shidi vor dem Marangu Gate auf Händen
Ein Hoch auf Shidi!
Die Gruppe gönnt sich nach Ankunft am Ziel ein Bier
Prost!

Und was bleibt?

Tja, was bleibt? Zuerst einmal das Wissen, dass mir eine Zeit ohne Internet und Social Media, nur mit Natur und körperlicher Aktivität, mental und physisch unglaublich gutgetan hat. Leider ist dieser Effekt im Alltag nach einigen Wochen wieder mehr oder weniger verpufft. Geblieben ist die Erinnerung an eine der – wenn nicht die – schönste Woche meines Lebens. Geblieben ist auch der Kontakt zu einigen aus unserer Crew, denen wir während der Coronazeit finanziell helfen konnten – und teils bis heute noch helfen. Und geblieben ist die Sehnsucht, so etwas noch einmal zu erleben.

Aber: Würde ich noch einmal auf den Kilimandscharo gehen? Ich weiß es nicht. Eigentlich kann es kaum noch einmal so gut werden. Reizen würde mich der Aufstieg durch den Krater selbst, bei dem man hautnah an die Gletscher herankommt und in der Caldera auf 5.700 Metern schläft. Auch würde ich den Kili gern einmal verschneit sehen – dafür war das Wetter auf unserer Reise schlicht zu gut (was uns natürlich auch sehr geholfen hat). Ich würde sagen: Man weiß es nicht. Aber vielleicht wäre es besser, es zu lassen.

In diesem Sinne: „Ngoma ikilia sana hupasuka.“

„Eine Trommel, die zu oft geschlagen wird, wird platzen.“
Oder: Wenn man etwas zu oft wiederholt, verliert es seine Kraft.

Blick aus dem Bus zurück auf den Kibo
Sieht man sich wieder? Vielleicht!

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