Kaisers Zeiten - deutsche Kolonialarchitektur in Daressalam
Du bist in Tansania und möchtest neben Serengeti, Sansibar oder dem Kilimandscharo auch einmal eine andere Seite des Landes entdecken? Dann ist Daressalam vielleicht genau das Richtige für dich! Nach unserer Tour auf den Kilimandscharo haben wir uns anstelle eines klassischen Strandurlaubs für einige Tage in der ehemaligen Hauptstadt und bis heute größten Stadt Tansanias entschieden.
Daressalam hat nicht den Ruf, ein klassisches Touristenziel zu sein – und doch lässt sich hier einiges entdecken. Neben dem quirligen Stadtleben und Ausflügen in die Umgebung lohnt es sich besonders, auf Spurensuche deutscher Kolonialarchitektur zu gehen. Denn hier finden sich noch heute zahlreiche Gebäude, die von der deutschen Kolonialgeschichte Tansanias zeugen.
- Kaiserliches Bezirksamt - City Council
- Katholische Missionskirche - Saint Joseph Cathedral
- Handelshaus Devers - Karimjee Jivanjee Building
- Evangelische Kirche - Azania Lutheran Church
- Deutscher Klub - Court of Appeal of Tanzania
- Kommando der Schutztruppe und Offizierskasino - Verwaltungsgebäude
- Verwaltungsgebäude Nr. 2 und Bezirksgericht - High Court
Die deutschen Kolonialherren haben sich in ihrer ostafrikanischen Kolonie gewiss nicht mit Ruhm bekleckert – auch wenn viele, selbst junge Tansanier, die deutsche Zeit heute noch für ihre infrastrukturellen Errungenschaften loben. Doch die Realität war brutal. Man denke nur an den Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907, bei dem schätzungsweise 120.000 Menschen ums Leben kamen – darunter lediglich 15 Europäer.
Erst im November 2023 bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch in Tansania um Vergebung für die Verbrechen während der deutschen Kolonialherrschaft. Ein Teil der Aufarbeitung: Die Rückführung von Hunderten Schädeln, die im Zuge der Niederschlagung des Aufstands zu anthropologischen Zwecken nach Deutschland gebracht und bis heute in den Kellern der Berliner Charité gelagert wurden.
Kolonialarchitektur in Daressalam – Zeugnisse einer ambivalenten Vergangenheit
Trotz der belasteten Geschichte sind die wenigen erhaltenen Bauten deutscher Kolonialarchitektur in Tansania heute spannende Relikte für Geschichts- und Architekturinteressierte. Auch wenn ihre Zahl gering ist – etwa im Vergleich zu den Kolonialstädten Swakopmund in Namibia oder Tsingtau im heutigen China – heben sie sich durch ihre einzigartige architektonische Mischung hervor.
Die Kombination mitteleuropäischer Baustile mit einheimischen Elementen wie offenen Veranden, großzügigen Innenhöfen oder hölzernen Fensterläden spiegelt den Versuch wider, die Bauten an das tropische Klima Ostafrikas anzupassen. Anders als etwa im kühlen Küstenklima von Deutsch-Südwestafrika, wo klassisch deutsche Bauweise nahezu unverändert umgesetzt werden konnte.
Erinnerungskultur und koloniales Erbe
Mich interessiert die deutsche Kolonialgeschichte – besonders ihre Spuren vor Ort. Sie übt auf mich eine gewisse Faszination aus, auch wenn mir zugleich bewusst ist, dass diese Geschichte vor allem von Unterdrückung, Ausbeutung und einem erzwungenen, aus europäischer Sicht verstandenen „Zivilisierungsanspruch“ geprägt war.
Hinzu kommt die willkürliche Grenzziehung während der Kolonialzeit, die bis heute Konflikte befeuert und die Entwicklung des afrikanischen Kontinents nachhaltig erschwert.
Einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung leistet das Projekt Dekoloniale, das sich seit 2020 kritisch mit dem deutschen Kolonialismus und seinen Folgen auseinandersetzt – etwa durch Stadtführungen, Filmreihen und Bildungsangebote zu diesem nach wie vor oft vernachlässigten Kapitel der deutschen Geschichte.
Die meisten Zeugnisse der kolonialen Baukunst befinden sich entlang der heutigen Sokoine Drive und Kivukoni Road – ehemals Kaiserstraße und Wilhelmsufer – und lassen sich bequem zu Fuß erschließen. Ein guter Einstieg in das Thema ist ein Besuch des Dar es Salaam Centre for Architectural Heritage (DARCH) in der alten Boma.
Das Gebäude wurde ab 1867 vom Sultan von Sansibar, Sayyid Madschid bin Said al-Busaidi, errichtet – jenem Herrscher, der Stadt und Küste 1888 an die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft verpachtete. Heute informiert eine moderne Dauerausstellung im Inneren über das architektonische Erbe und die Stadtentwicklung Daressalams. Oben auf der Dachterrasse warten kalte Getränke und ein schöner Blick über die Innenstadt – ein perfekter Auftakt für die eigene Erkundungstour.
Kaiserliches Bezirksamt - heute: City Council
Direkt neben der Old Boma liegt das ehemalige Bezirksamt, an der Einmündung der Morogoro Road in den Sokoine Drive. Heute dient das eindrucksvolle Gebäude als Sitz des Stadtrats von Daressalam.
Errichtet im Jahr 1903, beherbergte es einst nicht nur Dienstzimmer, sondern auch Wohnungen für den Bezirksamtmann sowie ledige Beamte der Kolonialverwaltung. Architektonisch vereint der Bau einheimisch-arabische Elemente mit deutschen Stileinflüssen – ein typisches Beispiel für die koloniale Mischarchitektur jener Zeit.
Katholische Missionskirche - heute: Saint Joseph Cathedral
Die neugotische Kirche entstand zwischen 1897 und 1902 durch Mitglieder der Benediktinerkongregation von St. Ottilien und wurde im Jahr 1905 feierlich geweiht.
Cassian Spiß aus St. Jakob am Arlberg, der erste Apostolische Vikar, wurde gemeinsam mit jeweils zwei Ordensbrüdern und -schwestern am 14. August 1905 Opfer des Maji-Maji-Aufstands. Ihre sterblichen Überreste ruhen im Seitenschiff der Kathedrale.
Besonders sehenswert sind die farbenfrohen Buntglasfenster, gefertigt von der bis heute bestehenden Bayerischen Hofglasmalerei in München.
Handelshaus Devers - heute: Karimjee Jivanjee Building
Eigentümer des Gebäudes war der aus Perleberg in Brandenburg stammende Kaufmann Paul Devers. Er vermarktete vor Ort sowohl koloniale Produkte als auch aus Deutschland importierte Waren. Darüber hinaus vertrat der vielseitig aktive Unternehmer die Schifffahrtslinie Messageries Maritimes zwischen Sansibar und Marseille, investierte in Kautschukpflanzungen, fungierte als Kurator der örtlichen Sparkasse und hatte einen Sitz im Bezirksrat von Daressalam.
Das Handelshaus „Traun, Stürken & Devers“ war bis zur britischen Invasion während des Ersten Weltkriegs wirtschaftlich erfolgreich. Paul Devers selbst fiel am 29. Januar 1917 in der Schlacht bei Utete.
Heute gehört das Gebäude der Karimjee-Familie, deren traditionsreiche Unternehmensgruppe seit 1825 besteht. Neben wirtschaftlichen Aktivitäten, unter anderem mit Toyota Tanzania, engagiert sich die Familie in wohltätigen Projekten und setzt sich für die Bildung junger Tansanier ein.
Direkt neben dem ehemaligen Handelshaus befindet sich ein weiteres, im Kern kolonialzeitliches Gebäude – das Postamt, das an dieser Stelle seit über 100 Jahren ansässig ist.
Auf dem Foto, das vom einstigen Standort des Kaiser-Wilhelm-Denkmals aufgenommen wurde, ist das Gebäude hinter der großen Palme versteckt. Um es als Bauwerk aus der deutschen Kolonialzeit zu identifizieren, bedarf es allerdings eines gewissen Hintergrundwissens – so sehr ist es in den letzten über 100 Jahren baulich verändert worden.
Wer jedoch genau hinschaut, erkennt noch heute neugotische Fensterbögen und zugemauerten Balustraden in den oberen Stockwerken. Eine aktuelle Aufnahme des Gebäudes findet sich hier.
Evangelische Kirche - heute: Azania Front Lutheran Church
Die evangelisch-lutherische Kirche an der Küste von Daressalam wurde zwischen 1898 und 1899 errichtet und gilt als eines der bekanntesten Beispiele deutscher Kolonialarchitektur in Tansania. Das Gebäude verbindet Elemente des bayerischen Heimatstils mit tropischer Bauweise: rote Ziegeldächer, Fliesenböden und Baldachine über neugotischen Fenstern prägen das äußere Erscheinungsbild.
Der Altar im Inneren besteht aus Tropenholz und trägt die Inschrift: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ – ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium, das auf den Namen der Stadt („Haus des Friedens“) Bezug nimmt.
Der Begriff „Azania“ wurde bereits in der Antike für die Küstenregion südlich des Horns von Afrika verwendet. Heute verweist der Name der Kirche auf die kulturellen Wurzeln des Landes: Tansania setzt sich aus den Bezeichnungen Tanganjika, Sansibar und Azania zusammen.
Deutscher Klub - heute: Court of Appeal of Tanzania
Zwischen der Banc of Africa und dem Hochhaus des Hyatt Hotels befindet sich das heutige Gebäude des Court of Appeal of Tanzania. Trotz späterer Umbauten hat sich der ehemalige Deutsche Klub, insbesondere im Obergeschoss, große Teile seines ursprünglichen Erscheinungsbilds aus dem Jahr 1904 bewahrt.
Der Deutsche Klub diente der damaligen Kolonialgesellschaft als Ort für Geselligkeit, kulturellen Austausch und Unterhaltung. An jedem Dienstag fanden Konzerte statt – begleitet von ritualisiertem Whiskey-Soda-Konsum in „vorschriftsmäßiger Menge“, wie der Journalist Heinrich Pfeiffer in seinen Memoiren „Bwana Gazetti – Als Journalist in Ostafrika“ berichtet.
Auf dem Programm standen außerdem Tees, Soupers, Dîners, Ausfahrten, Segeltouren und Tennispartien. Die Räumlichkeiten umfassten ein Klubzimmer für Konversation und Spiel sowie mehrere Gästezimmer für Übernachtungen.
Kommando der Kaiserlichen Schutztruppe und Offizierskasino - heute: staatliches Verwaltungsgebäude
Kurz hinter der Stelle, an der sich die Kivukoni Road nach Südosten wendet, befinden sich mehrere gut erhaltene Wohn-, Verwaltungs- und Militärbauten aus dem ersten oder zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Die Gebäude zeichnen sich durch Kolonnaden sowie überdachte – ursprünglich offene – Balkone aus, die früher Schatten spendeten und zur Belüftung beitrugen. Heute beherbergen sie verschiedene Institutionen der tansanischen Regierung.
Gegenüber des ehemaligen Kommandos der Schutztruppe führt eine Treppe hinab zum früheren Gouverneurspier. Von diesem Bauwerk ist allerdings nichts mehr erhalten.
Verwaltungsgebäude Nr. 2 und Bezirksgericht - heute: High Court
Das heutige Gebäude des High Court zählt zu den erhaltenen Beispielen jener Montagebauten, die von der Altonaer Firma J. A. Schmidt in Deutschland vorgefertigt und anschließend in Daressalam errichtet wurden. Die Konstruktion aus Stahlgerüst und Holzfachwerk wurde den klimatischen Bedingungen angepasst: Besonders markant ist der umlaufende, auskragende Bereich mit Veranden im Obergeschoss.
Ein ähnliches Bauprinzip – allerdings ohne die typischen Erdgeschoss-Säulen – fand auch beim benachbarten Verwaltungsgebäude Nr. 2 Anwendung. Dieses stammt aus den Jahren 1891/92 und wird bis heute als Gerichtsgebäude genutzt. Im zweiten Foto ist es im Hintergrund zu erkennen.
Deutsches Fachwerk für die Tropen – J. A. Schmidt & Sohn
Die Firma J. A. Schmidt & Sohn aus Altona bei Hamburg war in der Kaiserzeit auf vorgefertigte Bauten für den Übersee-Einsatz spezialisiert. Ihre Häuser wurden in Deutschland in Elementbauweise produziert, nach Ostafrika verschifft und dort vor Ort montiert. Die Mischung aus Stahlgerüst und Holzfachwerk ermöglichte den schnellen Aufbau ganzer Verwaltungsgebäude oder Gerichtshöfe – oft mit typischen Elementen wie umlaufenden Veranden, hohen Decken und guter Belüftung. Solche Bauten finden sich noch heute - neben Daressalam - in Lindi und Tanga.Neben den heute noch erhaltenen kolonialzeitlichen Bauwerken ist auch das Ocean Road Cancer Institute zu nennen, das auf das einstige Kaiserliche Gouvernements-Krankenhaus zurückgeht und sich baulich in einem sehr guten Zustand befindet. Leider haben wir es zeitlich nicht mehr geschafft, die heute einzige Tumor-Klinik Tansanias zu besuchen. Die weitläufige Anlage liegt außerhalb der natürlichen Hafeneinfahrt von Daressalam, bereits direkt am offenen Indischen Ozean.
Es zählt zu den ältesten noch genutzten medizinischen Einrichtungen Tansanias. Nach der Übergabe an die Briten 1916 und der späteren Unabhängigkeit diente es weiterhin der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Heute ist es die einzige spezialisierte Krebsbehandlungsklinik im Land – mit einem Einzugsgebiet weit über Daressalam hinaus. Das Gebäudeensemble ist ein bemerkenswert gut erhaltener Beleg für deutsche Kolonialarchitektur mit funktionalem Anspruch.
Ein weiteres erhaltenes Gebäude, das wir jedoch weder gesehen noch gefunden haben, ist der Bahnhof von Daressalam. Seit August 2024 verkehren von hier aus moderne Züge auf Normalspur in die Hauptstadt Dodoma. Bis 2026 soll die Strecke bis nach Kigoma am Tanganjikasee führen. Damit wird nach über 120 Jahren die ursprüngliche Meterspur der Tanganikabahn ersetzt.
Daressalam damals und heute
Und das war es auch schon mit unserem kleinen Rundgang durch das koloniale Daressalam. Was bleibt, ist ein Eindruck davon, wie sehr sich die heute riesige Stadt in den letzten 120 Jahren verändert hat – und wie überraschend präsent die deutsche Vergangenheit an einigen Ecken noch immer ist. Wo einst Bezirksamtmänner residierten und Schutztruppen logierten, wird heute regiert, Recht gesprochen oder gehandelt. Die Gebäude haben ihre Funktion, aber nicht ihre Geschichte verloren.
Wer die Gegenwart Tansanias verstehen möchte, kommt an einem kritischen Blick auf die Vergangenheit nicht vorbei. Gerade die sichtbaren Spuren der Kolonialzeit können Anlass sein, sich mit den historischen Verstrickungen und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Und vielleicht ist das ja eine der spannendsten Aufgaben auf Reisen: nicht nur Neues zu entdecken, sondern auch Bekanntes aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
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