Georgien - Wandern in Swanetien
Lust auf Berge, höher als der Mont Blanc? Täler so einsam, wie man sie in den Alpen kaum findet? Auf Essen frisch vom Kohleofen, Flussüberquerungen hoch zu Ross? Und das alles zu Preisen, von denen man hierzulande nur träumen kann? Dann sei dabei, wenn es heißt: Ab in den wilden Nordwesten Georgiens! Ab nach Swanetien, den dünn besiedelten Landstrich am Rande Europas. Es lohnt sich!
Kurz vorweg - eine Eileitung
Auch hier am Südrand des Großen Kaukasus wächst der Tourismus: 9.000 Besuchern im Jahr 2011 stehen 150.000 im Jahr 2023 gegenüber. Wenn aber bedenkt, dass das deutlich kleinere Mallorca 18 Millionen Touristen jährlich aushalten muss, der kann sich vorstellen, wie allein man zwischen Mestia und Ushguli noch immer unterwegs ist. Da diese Tour im Herbst 2021 stattfand, war es sogar noch ein wenig leerer. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Fremdenverkehr waren dramatisch, die Weiler und Wege Swanetiens noch ein wenig einsamer als sonst.
Ursprünlich sollte die Tour aus dem Wander-Klassiker Georgiens bestehen: dem Trek von Mestia in das von der UNESCO geschützte Wehrdorf Ushguli. Wegen der äußerst schlechten Wetterprognose haben wir uns kurzfristig dafür entschieden, erst in Zhabeshi zu starten. Einem kleinen Dorf, weniger als eine halbe Stunde Taxifahrt von Mestia entfernt. Wie ich finde eine wirklich gute Alternative, wenn man nur zwei Übernachtungen einplanen und trotzdem in Ushguli enden möchte.
Überhaupt, das Wetter. Einheimischen zufolge hatten wir einen der kältesten und nassesten Frühherbste der letzten Jahre überhaupt erwischt. Die Temperaturen pendelten zwischen knapp unter Null Grad am frühen Morgen bis um die 20 Grad am Tage bei Sonnenschein. Entsprechend breit war die eingesetzte Garderobe zusammengestellt: Von der Wander- über die Regenhose bis zur Shorts, vom T-Shirt über die Fleece- bis zur Regenjacke plus Mütze und dünnen Handschuhen war alles am Start. Das Gute an der durchwachsenen Witterung: Der Himmel war nie langweilig, das Licht bei Sonnenschein besonders schön und klar. Auf den Kämmen lag schon Schnee, der einen tollen Kontrast zu den bunten Baumkronen ergab. Doch trotz allem : Sonne pur wäre mir trotzdem lieber gewesen 😉Unsere Wanderroute in Oberswanetien
Mestia - kleine Hauptstadt Swanetiens
Mestia haben wir einen Tag vor dem Start der Wanderung von Kutaissi aus per Privattransfer erreicht. Die Kosten hierfür: circa 10 Euro pro Kopf. Diese Variante ist zwar langsamer als ein Flug zum kleinen Königin-Tamar-Flughafen und weniger abenteuerlich als eine Tour mit der Marschrutka. Dafür aber relativ nachhaltig und auch recht flott. Und vor allem auch landschaftlich großartig. Vor allem das letzte Teilstück ab dem riesigen Enguri-Stausee mit der höchsten Bogenstaumauer der Welt weiß zu beeindrucken.
Beim kaukasischen Wehrturm handelt es sich um ein mittelalterliches bis frühneuzeitliches Bauwerk zur Verteidigung eines Clans vor Eindringlingen. Die besonders gut erhaltenen Exemplare von Ushguli sind seit 1996 Teil des UNESCO-Welterbes. Die Eingänge der Türme liegen nicht im Erdgeschoss, sondern müssen über hochziehbare Leitern erreicht werden. Selbst wenn der Feind bereits eingedrungen war, konnten die Familien sich noch von oben herab verteidigen. Durch fehlende Managementpläne von Seiten des Staates, ausbleibende finanzielle Unterstützung und Umbauten mit ortsfremdem Material wie Beton, Kunststoff oder Blech an Hotels und Restaurants ist der Status des Welterbes in Gefahr.
Auf einer kleinen Erkundung durch die infrastrukturell gut erschlossene kleine Stadt begegneten wir den ersten, für die Region so typischen Wehrtürmen und landeten schließlich im Lushnu Qor Restaurant. Hier werden unter deutschsprachiger Leitung deftige Gerichte und der obligatorischen Traubenschnaps Chacha gereicht, während man von der Terrasse fantastische Blicke auf den farbenprächtigen Sonnenuntergang genießen kann. Was wir auch ausgiebig taten, bevor es zeitig ins Guesthouse ging. Ausschlafen vor der anstrengenden Tour war angesagt!
SPAZIERGANG DURCH MESTIA
Kleiner Rundgang durch die Hauptstadt Swanetiens Navigation und GPX bei Bergfex
- Länge: 4,7 Kilometer
- 88 Höhenmeter
- maximale Steigung: keine bedeutenden Anstiege
Etappe 1: Von Zhabeshi nach Adishi
Los geht's! Tagesziel der ersten Etappe war der nur eine Handvoll Einwohner zählende Weiler Adishi in nur knapp zwölf Kilometern Entfernung. Doch dieses Dutzend Kilometer verlangte uns mit langen Steigungen von bis zu 26 Prozent einiges an Beinarbeit ab. Der gut beschilderte Weg führt - direkt mit einem knackigen Anstieg beginnend - abwechslungsreich über Wiesen, Felder und durch dichten Wald. Aber auch entlang einer der wenigen Skipisten der Region und immer wieder über kleine Bäche, die entweder via wackeliger Planken oder einzelner Steine gequert werden müssen.
Angekommen in Adishi - gelegen auf 2.400 Metern Höhe - erwarteten uns ein Haufen oft halb zerfallener Höfe, von denen die meisten auf Wandertouristen wie uns warteten. Und ohne diese wohl auch schon gänzlich verlassen wären. So auch jenes kleine Anwesen, in das es uns verschlug. Das sogenannte "Hotel" Murqvami verfügt über ein karges Vierbettzimmer, eine über den Laubengang (kalt!) erreichbare Dusche (zum Glück heiß!) und das Wohn-Schlaf-Koch-Zimmer der Wirtsleute im Erdgeschoss.
Und genau dort, direkt neben dem Ehebett, bereitete die Gastgeberin uns hungrigen Wandersleuten im Handumdrehen ein Abendessen zu, das sich gewaschen hatte. Es ist kaum zu glauben, welche Köstlichkeiten aus Teig, Gemüse und Fleisch die Dame des Hauses in kürzester Zeit auf ihrem Kohleofen zu zaubern in der Lage war! Satt, zufrieden und begleitet von einigen Kaltgetränken (Bier & Co. werden in den Unterkünften reichlich vorgehalten), ließen wir zum Tagesausklang die zurückliegenden Stunden Revue passieren und planten die nächste Etappe. Denn für den kommenden Nachmittag war Regen angesagt. Um also möglichst zeitig aufbrechen zu können, bestellten wir mit Händen und Füßen sowie Google Translate ein sehr frühes Frühstück und zogen uns in unser per Elektroofen beheizbares Zimmer zurück. Aber Achtung: Der provisorisch angebrachte Stecker sollte tunlichst vor dem Einschlafen gezogen werden. Sonst droht angeblich Feuer. Gut zu wissen…
ERSTE ETAPPE
Von Zhabeshi nach Adishi Navigation und GPX bei Bergfex
- Länge: 11,3 Kilometer
- 864 Höhenmeter
- maximale Steigung: 26 Prozent
- Profil: langer Anstieg fast ohne Unterbrechung bis zur Hälfte der Strecke, dann moderater Abstieg bis zum Ziel
Etappe 2: Von Adishi nach Khalde
Am frühen Morgen, die Sonne hatte gerade die ersten Gipfel überschritten, starteten bei herrlichem Wetter in das golden glänzende Tal des Khaldechala-Flusses. Vor dem Aufbruch mussten wir uns entscheiden, ob wir das eisige Gewässer einige Stunden später durchwaten oder hoch zu Ross passieren wollten. Unsere Wahl fiel auf das Pferd, das wir direkt bei unseren Vermietern buchen konnten. Pferd und Reiter wurden uns also hinterhergeschickt und überholten uns schließlich kurz vor der Furt. Nach einem Klaps auf den Allerwertesten brachten uns unsere Pfähren (copyright Kristina Jacobsen 😉) dann auch mir nichts, dir nichts sicher an das wenige Meter entfernte gegenüberliegende Ufer, an dem der Anstieg zum Chkunderi Pass beginnt.
Und der hat es ziemlich in sich. Zwischen 20 und 29 Prozent Steigung über mehr als zwei Kilometer am Stück sind nicht ohne. Insbesondere für den einzigen Raucher unter uns. Aber die wahnsinnigen Blicke auf den laut krachenden Adishi-Gletscher und das weit unter uns liegende, in der langsam hinter den Wolken verschwindenden Sonne funkelnde Tal entschädigten für die Mühe. Schon bald erreichten wir auf der Passhöhe von gut 2.700 Metern ü. NN den höchste Punkt unserer Tour. Von hier aus ging es über offene Graslandschaften stetig und weniger steil hinab in Richtung Khalde, das wir trotz des frühen Aufbruchs nach etwa 15 Kilometern im strömenden Regen erreichten. Erschöpft, aber zufrieden, diese ebenso herausfordernde wie eindrucksvolle Etappe gemeistert zu haben. Auch hier standen mir nichts, dir nichts swanetische Köstlichkeiten, Bier und Chacha auf dem großen Tisch des Gemeinschaftsraums. Während unsere Wanderstiefel unter dem Kohleofen trockneten, ließen wir also auch den zweiten Tag der Wanderung durch Oberswanetien genussvoll ausklingen und sanken einige Stunden später in die Betten der nicht beheizbaren, aber mit gemütlichen dicken Decken ausgestatteten Zimmer.
ZWEITE ETAPPE
Von Adishi nach Khalde Navigation und GPX bei Bergfex
- Länge: 14,9 Kilometer
- 631 Höhenmeter
- maximale Steigung: 29 Prozent
- Profil: kaum Steigung bis zur Flussüberquerung (Kilometer 5), dann steiler Anstieg bis zum Pass (Kilometer 8), dann etwas weniger steil hinunter (Kilometer 11), der Rest flacher Abstieg
Etappe 3: Von Khalde nach Uschguli
Am nächsten Morgen ging es, die tief verschneiten Gipfel im Rücken, bei kristallklarer Luft und Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt Richtung Ushguli. Die knapp 16 Kilometer sind nur selten anspruchsvoll und führen eine beträchtliche Wegstrecke auf einem schmalen Pfad durch wunderschönen Wald, der uns an diesem durchgehend sonnigen Tag angenehmen Schatten spendete. Wie schon die Tage zuvor begegneten wir auch hier nur äußerst wenigen Wanderern, die die umgekehrte Richtung des Trails gewählt hatten. Wie an den Tagen zuvor boten sich auch heute immer wieder fantastische Blicke auf einen der schönsten Berge Georgiens, den Ushba. Mit 4.737 Metern Seehöhe ist er zwar nur die fünfthöchste Erhebung des Landes, aufgrund des prägnanten Doppelgipfels aber eine der bekanntesten. Unsere kleine Wandergruppe war derweil auf vier angewachsen. Ein kleiner, leicht humpelnder Hütehund wich uns über die Hälfte der Strecke nicht von der Seite und erwies sich nicht nur als ziemlich niedlich, sondern auch ganz schön nützlich: Der Kleine kannte die besten Stellen um Bäche trockenen Fußes zu überqueren und verjagte, wild kläffend, ganz nebenbei allzu aufdringliche Kühe. Danke dafür!
Und dann, als krönender Abschluss: Ushguli! Das wegen seiner rund 200 mittelalterlichen Wohngebäude und Wehrtürme zum Welterbe der UNESCO zählende Dorf zu erreichen, ist nach 2.100 Höhenmetern und über 42 Kilometern Wegstrecke ein wirklich schönes Gefühl. Der mit knapp 2.200 Metern höchstgelegene, dauerhaft bewohnte Ort Europas (je nach Definition der Grenzen unseres Kontinents) erwartete uns mit angenehmen Temperaturen, Sonnenschein und einigen Optionen, ein oder zwei eisgekühlte Biere zu genießen. Apropos genießen - das Panorama, auf das wir von der Sonnenterrasse blickten, hat es in sich: Nur acht Kilometer entfernt türmt sich majestätisch der Shchara auf. Auf 5.201 Metern liegt dort nicht nur der dritthöchste Punkt des Kontinents. Hier verläuft auch der Hauptkamm des Kaukasus und auf ihm die georgisch-russische Grenze.
Mit diesen Bildern vor Augen war es kein Wunder, dass wir uns so gar nicht von diesem Platz in der hintersten Ecke Europas lösen wollen. Doch was sein muss, muss sein. Und so saßen wir wenig später zu sechst in einem Pickup für fünf Personen, dessen Fahrer gerade noch mit uns Bier und Chacha getrunken hatte. Vielleicht musste er sich Mut antrinken? Hatte ein Erdrutsch die Piste nach Mestia am Vortage doch unpassierbar gemacht. Der eilig herbeigerufene Räumdienst hatte allerdings zum Glück ganze Arbeit geleistet und so hieß es: Freie Fahrt zurück nach Mestia! Eine ausgiebige Abschlussfeierei anlässlich unserer heldenhaften Wanderung musste dort leider ausfallen - pandemiebedingte Sperrstunde ab 22 Uhr.
So endete unser kurzer Trip in eine der urigsten Regionen am Rande Europas zwar verhältnismäßig früh und nüchtern, aber auch mit der Erkenntnis, dass dies nicht der letzte Aufenthalt in den Bergen des Großen Kaukasus gewesen sein sollte!
DRITTE ETAPPE
Von Khalde nach Ushguli Navigation und GPX bei Bergfex
- Länge: 15,6 Kilometer
- 492 Höhenmeter
- maximale Steigung: 26 Prozent
- Profil: zunächst moderater Abstieg (Kilometer 5), dann relativ steiler langer Anstieg (Kilometer 8), anschließend kaum noch nennenswerte An- und Abstiege
Kommentare
Kommentar veröffentlichen